Also. Wieder einmal Hamlet. Aber nicht irgendeine neue Inszenierung, sondern eine, die Capa-kaum schon vor nunmehr sieben Jahren erstmals gesehen hatte. In der Berliner Schaubühne, mit dem Ausnahmeschauspieler Lars Eidinger als Titelfigur, von Thomas Ostermeier verdichtet auf sechs Personen und ausgebreitet vor einem nach wie vor begeistertem Publikum. Auch beim zweiten Hinsehen lautet der Befund: So kurzweilig kann ein Klassiker sein – auch wenn er in zweieindreiviertel Stunden ohne Pause dargeboten wird. Aber… Eidinger… doch zuerst das Positive.
Ostermeiers Hamlet ist tatsächlich ein Elementarwurf des Theaters, hat zu Recht etliche Preise eingeheimst, wurde bei zwei Dutzend Festivals und Gastspielen rund um die Welt bejubelt und nun in Berlin zum 250. Mal aufgeführt. Und Lars Eidingers Hamlet-Interpretation war und ist nach wie vor ein Glanzstück schonungsloser Bühnenkunst. Mit seinem Hamlet wurde Eidinger stilprägend für seine Darstellungsform, erreichte den Höhenflug seiner Karriere in weiteren glanzvollen Rollen im Film und vor allem an „seiner“ Schaubühne – in den Dämonen, als Menschenfeind, im Tartuffe und seit diesem Jahr als Richard III.
Aber… mit einem Abstand von sieben Jahren hat sich Lars Eidingers Hamlet natürlich gewandelt. Nicht zuletzt dadurch, dass der Protagonist ganz einfach sieben Jahre älter und nun 39 geworden ist. Aus dem jugendfrischen, aufrührerischen Helden ist ein vom Leben geprägter Mann geworden, der seine Rabiatheit und seine zunehmende Paranoia gegenüber seiner ganzen Umgebung auslebt. Dem man eher zuschreibt, dass er seine Cholerik nach Belieben freilässt als dass man ihm zubilligt, sein sich vom Widerstand gegen den vatermörderischen Onkel zum Wahn gegen Alles und Jeden veränderndes Tun wäre bloß die Folge der Ereignisse.
Und, leider, lebt auch Lars Eidinger mittlerweile sein eigenes Können als Mittelpunkt des Theatergeschehens aus, degradiert die Mitakteure zur Staffage seiner zweifellos großartigen Spielkunst und verlässt den Spielfluss allzu häufig, um abseits des Geschehens im Stück in Kommunikation mit dem Publikum zu treten. So geschehen bei der von Capa-kaum gesehenen Aufführung von Richard III. und zuletzt mehrfach im Hamlet. Ja, es ist schon lustig, wenn er mitten in einer grandiosen Fechtszene innehält und zum Publikum meint, „so etwas sieht man eben am BE oder DT nicht“ (also weder am Berliner Ensemble noch am Deutschen Theater). Was ja stimmt, doch… Man könnte es jedenfalls auch „selbstherrlich“ nennen, wie der Ausnahmeschauspieler nunmehr auf seiner Heimatbühne agiert (und dabei eigentlich die an sich exzellente Inszenierung beschädigt). Aber, zugegeben: Es ist bemerkenswert, wie Eidinger nach solchen stückfernen Ausritten nahtlos wieder in seine Figur findet, aber störend ist’s schon auch und er macht es vor allem für die Anderen auf der Bühne nicht leicht. Da findet er sich in der Tradition eines Klaus Maria Brandauer, Gert Voss oder Samuel Finzi, die mit ihrer Selbstverliebtheit am Höhepunkt ihres Könnens ebenso umgingen, ehe sie wieder ganz einfach auf ihre Möglichkeiten als Schauspieler zurückfanden.
Insgesamt aber: Ein Hamlet, den man auch in dieser sieben Jahre alten Inszenierung gesehen haben muss. So wie auch wenige andere Berliner Uralt-Inszenierungen: Etwa am Berliner Ensemble den Arturo Ui mit Martin Wuttke, dort auch die Mutter Courage mit Carmen-Maja Antoni oder auch am Deutschen Theater Dimiter Gotscheffs Perser.
Hamlet (William Shakespare). Schaubühne, Berlin. Regie: Thomas Ostermeier. Mit: Lars Eidinger, Jenny König, Urs Jucker, Sebastian Schwarz, Robert Beyer, Franz Hartwig.