Es ist einfach nicht zu leugnen: Wir sind eine Multitasking-Gesellschaft. Oder, nein: Wir glauben, Mitglieder einer Multitasking-Gesellschaft zu sein. Und daher natürlich über jene Fähigkeit zu verfügen, die wir vom Gebrauch des Computers her kennen – nämlich problemlos mehrere Aufgaben parallel abwickeln, mehrere Informationen gleichzeitig verarbeiten zu können. Also: Etwa Fernsehen und dabei Zeitung lesen und alles mitbekommen. Oder Autofahren und gleichzeitig telefonieren und problemlos keine Fehler machen. Leider muss Capa-kaum diesen Mythos des Multitasking-Phänomens entzaubern.
Neulich vor einem Geldautomaten: Der Mann (Typus: Jungmanager und Multitasking-Profi) hat eben mit einer Hand seine Bankkarte in den Schlitz geschoben, während er in der anderen Hand sein Handy hält und ohne Unterbrechung spricht, zwischen Knie und Geldautomat sein Notizbuch eingeklemmt fixierend, um von dort offenbar (man hört ja aus Diskretion nicht hin!) Informationen für seinen Handy-Gesprächspartner abzulesen… Nun beschreibt zwar der Begriff Multitasking die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig machen zu können, das bewältigt aber bloß der Computer und nicht der Homo hyperactivus.
Denn – und an dieser Stelle ein kurzer Ausflug in die Psychologie – es wurde bereits vielfach wissenschaftlich nachgewiesen, dass das menschliche Gehirn nicht in der Lage ist, zwei komplexe Aufgaben gleichzeitig zu erledigen. Unsere Fähigkeit der Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource und erlaubt einfach nicht, zwei die Konzentration erfordernde Tätigkeiten gleichzeitig zu bewältigen. Tatsächlich wechselt das Gehirn sehr schnell zwischen den gestellten Aufgaben hin und her. Das bewirkt jedoch, wenn auch nur minimale, Zeitlöcher, die zwangsläufig die Qualität beider Aufgaben schmälern. Multitasking senkt deshalb, mehrfach erforscht, die Arbeitsproduktivität und verursacht Stress.
Dieser unbewusste Druck auf die Gehirntätigkeit kann in vielen Fällen zur so genannten „Hurry Sickness“ (Hetzkrankheit) führen, einer Vorstufe des Burnout-Syndroms. Aber noch eine weitere Gefahr lauert: Denn dieser Multitasking-Modus ist ungeeignet, um Wissen aufzunehmen und nachhaltig im Gehirn zu verankern. Man hat zwar subjektiv das Gefühl, viele Dinge schnell erledigen zu können, aber Menschen, die beispielsweise Fernsehen und dabei Zeitung lesen, können kurz danach die meisten der im Multitasking-Modus erhaltenen Informationen nicht wiedergeben. Fazit: Menschliches Multitasking ist ein großes Missverständnis.
Das musste auch der früher erwähnte Mann vor dem Bankautomaten erfahren. Er hatte im Eifer seines Lesens, Hörens und Sprechens wohl vergessen, den Anweisungen auf dem Bildschirm in entsprechender Zeit nachzukommen, was zur Folge hatte, dass er sich fortan nur noch mit Singletasking, also bloß einer zu lösenden Aufgabe, zu beschäftigen hatte: Nämlich seine vom Geldautomaten einbehaltene Bankkarte wiederzuerlangen.